Blutdruckwerte variieren von einem Praxisbesuch zum nächsten erheblich. Das macht es schwierig, einen Therapieerfolg zu beurteilen. So bedarf es etwa vier separater Visiten, um einen Druckabfall von 10 mmHg zu sichern.
Dass die Variabilität des Blutdrucks von Visite zu Visite (Visit-to-visit variability, VVV) von prognostischer Bedeutung ist, haben schon einige Studien gezeigt. In ALLHAT* z.B. war eine größere VVV mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert. Wie es sich mit der VVV des systolischen Blutdrucks (SBP) in der „real world“ verhält und ob es Assoziationen zu Patientencharakteristika gibt, untersuchte nun eine US-amerikanische Arbeitsgruppe um Dr. Yuan Lu vom Yale New Haven Hospital mithilfe der Daten des Yale New Haven Health Systems.
Über 530.000 Erwachsene im Durchschnittsalter von 53,4 Jahren mit mehr als 7 Mio. Blutdruckmessungen schloss das Team in die retrospektive Kohortenstudie ein. Voraussetzung für die Teilnahme waren mindestens zwei Visiten innerhalb von 90 Tagen zwischen Januar 2014 und Dezember 2018. In einem Zeitraum von durchschnittlich 2,4 Jahren absolvierten die Teilnehmer im Schnitt 13,3 Praxisbesuche, in denen der Blutdruck dokumentiert wurde.
Primärer Endpunkt war die VVV des SBP. Die mittlere intraindividuelle Standardabweichung über alle Praxisbesuche hinweg betrug 10,6 mmHg, die zwischen zwei Praxisbesuchen 12 mmHg. Weniger als 5 % der Variabilität ließen sich auf Patientencharakteristika (z.B. Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen) zurückführen.
Diesen Ergebnissen zufolge schwankt der Blutdruck zwischen zwei Praxisbesuchen erheblich, schlussfolgern die Autoren. Angesichts der Tatsache, dass blutdrucksenkende Medikamente tendenziell den Druck weniger stark reduzieren als diese Schwankungen, lässt sich bei einem Folgebesuch nur schwer feststellen, ob und wie stark ein verordnetes Antihypertensivum gewirkt hat. Um z. B. eine 80 %ige Sicherheit zu haben, dass eine Therapie den Druck um 10 mmHg senken konnte, seien etwa vier separate Visiten erforderlich, rechnen Dr. Lu und Kollegen vor. Ihrer Ansicht nach unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung häuslicher (24-Stunden-)Messungen. SK
*Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial
Quelle
Lu Y et al. Circ Cardiovasc Qual Outcomes, 2023; 16: e009258. doi: 10.1161/CIRCOUTCOMES.122.009258
Kurz kommentiert
Jeder kennt es in der Praxis, dass die Blutdruckwerte zwischen den Visiten variieren. Da viele Patienten ihren Blutdruck nicht in ihrem häuslichen Umfeld messen, weiß man auch nur begrenzt, wie gut die blutdrucksenden Medikamente in der Blutdruckeinstellung funktionierten.
In der vorliegenden Studie konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass der Blutdruck zwischen Visiten in einem „real-world“-Szenario um ca. 10 mmHg systolische schwankt. Das ist erschreckend hoch, da es bedeuten kann, dass die Blutdruckzielwerte durchaus über lange Zeit nicht im gewünschten Bereich liegen. Vor allem bei Patienten mit chronischer Nierenfunktionsstörung oder im höheren Alter variieren die Messergebnisse von Besuch zu Besuch noch stärker. Die Arbeit kann daher als wichtiges Plädoyer für die Heimblutdruckmessung betrachtet werden, um die Einstellung zu dokumentieren und wenn nötig, ihre Stabilität zu verbessern. Patienten sollten bei der Einnahme von Blutdruckmedikamenten auch zu einer regelmäßigen Heimblutdruckmessung veranlasst werden.
Ihr Prof. Prof. h.c. Dr. Markus van der Giet
Vorstandsvorsitzender Deutsche Hochdruckliga e.V.
Charité – Universitätsmedizin Berlin