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Für Mediziner

Frühe Geschlechterunterschiede beim Blutdruck

Schon Jahre vor der Pubertät laufen die Kurven auseinander

Bis etwa zur Lebensmitte weisen Männer höhere systolische Blutdruckwerte auf als Frauen. Welche Rolle die Pubertät und insbesondere der Zeitraum davor und danach in der Entwicklung dieser Geschlechterunterschiede spielt, wurde in einer prospektiven Kohortenstudie untersucht.

Geschlechterunterschiede im systolischen Blutdruck (SBP) kommen bereits während der Adoleszenz zum Vorschein. Einige Studien identifizierten die Pubertät mit ihren hormonellen Einflüssen als kritische Phase für die Blutdruckveränderungen. Allerdings gibt es nur wenige Untersuchungen, in denen die Werte vor und nach der Pubertät bei Jungen und Mädchen miteinander verglichen wurden. Unklar war bisher auch, ob der Zeitpunkt des hormonellen Umbruchs den SBP im frühen Erwachsenenalter beeinflusst.

Dr. Kate O’Neill von der School of Public Health am University College Cork und Kollegen haben die Daten einer longitudinalen Geburtskohortenstudie ausgewertet. Bei 4062 Teilnehmern war im Alter zwischen 3 und 24 Jahren zehnmal der Blutdruck erfasst worden. Zudem hatten im Alter zwischen 5 und 20 Jahren wiederholt Messungen der Körpergröße stattgefunden. Die Phase des schnellsten Wachstums galt als Marker für die Pubertät. Mädchen erreichten diesen Peak durchschnittlich mit 11,7 Jahren, Jungen mit 13,6 Jahren.

In den drei präpubertären Jahren stieg der SBP bei Jungen deutlich steiler an als bei Mädchen, was in der Pubertät zu einem mittleren Unterschied von 10,19 mmHg führte. Nach der Phase des stärksten Wachstums veränderten sich die systolischen Druckwerte bei beiden Geschlechtern ähnlich schnell, sodass die Differenz bis zur letzten Untersuchung bestehen blieb. Mit 24 Jahren hatten die Männer einen um 11,43 mmHg höheren mittleren SBP als die Frauen.

Die Forscher verglichen die Druckverläufe rund um das mittlere Pubertätsalter auch mit denen bei früherem oder späterem Wachstumspeak (± 1 Jahr). Dabei zeigte sich, dass der Zeitpunkt selbst die SBP-Entwicklung nur noch gering und vorübergehend beeinflusste. Der systolische Wert der 24-jährigen Männer war unabhängig von deren Alter beim schnellsten Wachstum, beim weiblichen Geschlecht führte eine um ein Jahr spätere Pubertät zu einem um 1,05 mmHg niedrigeren SBP mit 24 Jahren.

Interventionen zu Pubertätsbeginn dürften den Blutdruck im frühen Erwachsenenleben also kaum noch verändern, so das Fazit der Autoren. Sie sprechen sich dafür aus, die Ursachen der Geschlechterunterschiede in der Phase davor genauer zu untersuchen.      

Quelle
O‘Neill K et al. Hypertension 2022; 79: 1755–1764; doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.121.18531

Kurz kommentiert
Eine sehr spannende Arbeit, die hervorragend herausarbeitet, wie sich der systolische Blutdruck von der Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter entwickelt. Interessant ist, dass es bei Jungen bereits mehr als ein Jahr vor der Pubertät zu einem deutlich ausgeprägteren Anstieg des Blutdrucks kommt als bei Mädchen.

Ihr Prof. Prof. h.c. Dr. Markus van der Giet
Vorstandsvorsitzender Deutsche Hochdruckliga e.V.
Charité – Universitätsmedizin Berlin