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Für Mediziner

Pulswellengeschwindigkeit als ergänzender Risikomarker

Aortensteifigkeit weist auf kardiovaskuläre Ereignisse hin

Das biologische Alter sagt nicht unbedingt etwas über das Alter der Gefäße aus. Quantifizieren lässt sich der vaskuläre Zustand mit der Pulswellengeschwindigkeit. Der Parameter eignet sich laut einer Studie auch zur Risikoabschätzung.

Amerikanische Fachgesellschaften empfehlen, den Atherosclerotic Cardiovascular Disease (ASCVD)-Score zu nutzen, um Patienten die passenden präventiven Maßnahmen anzubieten. Im Score spielt das chronologische Alter eine wesentliche Rolle. Jedoch können gleichaltrige Menschen sehr unterschiedliche atherosklerotische Veränderungen haben, geben Dr. Carlos Valencia-Hernández vom Research Department of Epidemiology and Public Health am University College London und Kollegen zu bedenken.

Als zuverlässiger Marker für die Gefäßsteifigkeit bzw. das vaskuläre Alter gilt die aortale Pulswellengeschwindigkeit (aortic pulse wave velocity, aPWV). Wie gut sie sich zur Risikoabschätzung eignet, prüften die Forscher in einer prospektiven Analyse von Daten der britischen Kohortenstudie Whitehall II. Eingeschlossen wurden 3.837 Teilnehmer ohne Schlaganfall, Herzinfarkt oder KHK in der Anamnese. Das Durchschnittsalter lag bei 65 Jahren, die Beobachtungszeit betrug 11,7 Jahre. Initial fielen 28,0 % der Patienten in die ASCVD-Risikokategorie niedrig bis grenzwertig (< 7,5 %), 51,2 % in die intermediäre (≥ 7,5 % – 20 %) und 20,7 % hatten ein Hochrisikoprofil (≥ 20 %). Die aPWV wurde einmalig nicht-invasiv über ein Tonometer gemessen.

Bis zum Ende des Follow-ups hatte jeder Zehnte ein schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis* erlitten. Diejenigen mit einer aortalen Pulswellengeschwindigkeit im höchsten Quartil (aPWV > 9.45 m/s) wiesen ein deutlich höheres Risiko dafür auf als diejenigen im niedrigsten (Hazard Ratio 2,99, nach Adjustierung auf alle Komponenten des ASVCD-Scores 1,93). Teilnehmer im höchsten aPWV-Quartil erfüllten zudem bereits nach fünf Jahren die Indikation für eine Statintherapie (7,5 % im ASCVD-Score), alle anderen erst nach zehn Jahren.

Die Mitberücksichtigung der Pulswellengeschwindigkeit erhöhte die statistische Aussagekraft des ASCVD-Scores. Davon profitieren den Autoren zufolge insbesondere Patientengruppen mit unklarer Indikation zur primärpräventiven Therapie. Durch Nutzung des Markers ließe sich die Risikostratifizierung in der Primärversorgung also weiter verbessern, so ihr Fazit. Gleichzeitig sei die Messung der aPWV sehr kosteneffektiv.

* kombinierter Endpunkt aus (nicht)tödlichem Schlaganfall, Herzinfarkt, Angina pectoris, kardiovaskulärem Tod

Quelle
Valencia-Hernández C et al. Hypertension 2022; 79: 836–843; doi:10.1161/HYPERTENSIONAHA.121.17589

Kurz kommentiert
Die Messung der Pulswellengeschwindigkeit ist im Alltag eine leichte und einfache Methode beim älteren Patienten, um prädiktive Informationen über zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse zu bekommen. Es wäre daher sehr hilfreich, den Faktor Pulswellengeschwindigkeit in eine Risikokalkulation aufzunehmen.

Ihr Prof. Prof. h.c. Dr. Markus van der Giet
Vorstandsvorsitzender Deutsche Hochdruckliga e.V.
Charité – Universitätsmedizin Berlin