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Für Mediziner

Monotone Beziehung

Je niedriger der Blutdruck, umso besser für Diabetiker

Wie verhält sich die Variable Blutdruck zum kardiovaskulären Risiko? Gibt es einen optimalen Tiefstwert oder gilt „the lower the better“? Für Patienten mit Diabetes liefert ein Deep-Learning-Algorithmus nun eine eindeutige Antwort.

Für Menschen mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko haben Beobachtungstudien ergeben, dass die Beziehung zwischen erhöhtem Blutdruck und der Gefahr für schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen log-linear verläuft. Bei kardiometabolisch vorbelasteten Patienten ist die Assoziation weniger klar. Für Diabetiker beispielsweise fanden sich sowohl lineare als auch J-Kurven mit einem niedrigsten Risiko bei systolischen Werten zwischen 130 und 139 mmHg bzw. zwischen 135 und 139 mmHg.

Das Team um Shishir Rao von der universitären Oxford Martin School nutzte nun einen validierten Deep-Learning-Algorithmus, um den Zusammenhang erneut prospektiv zu prüfen. Analysiert wurden elektronische Krankenakten von 49.000 Diabetespatienten im Alter zwischen 50 und 90 Jahren (Median 65 Jahre). Über einen medianen Beobachtungszeitraum von 7,3 Jahren gab es 16.378 kardiovaskuläre Ereignisse (KHK, neue Herzinsuffizienz, Schlaganfall, kardiovaskulärer Tod).

Im Gegensatz zu konventionellen statistischen Annährungen, fand sich mit dem Deep-Learning-Ansatz keine J-förmige Kurve, schreiben die Autoren. Die Beziehung zwischen Herz-Kreislauf-Ereignissen und dem systolischen Blutdruck folgte einem monotonen Muster. Die Gruppe von Teilnehmern mit den niedrigsten initialen Werten (< 120 mmHg) hatte das geringste Risiko. Verglichen mit dieser Referenzgruppe hatten Patienten mit systolischen Drücken zwischen 120 und 129 mmHg ein adjustiertes relatives Risiko (aRR) von 1,03.

Mit steigendem Blutdruck nahm das aRR zu. In der Gruppe mit Werten zwischen 130 und 139 mmHg betrug es 1,05, bei Drücken zwischen 140 und 149 mmHg 1,08, im Kollektiv mit Werten zwischen 150 und 159 mmHg 1,12 und bei ≥ 160 mmHg 1,19. Damit liefert die Studie weitere Evidenz für das Konzept „the lower, the better“ – und zwar auch bei Patienten mit Diabetes, so das Fazit der Forscher.

Quelle
Rao S et al. Hypertension 2023; 80: 598–607; doi:10.1161/HYPERTENSIONAHA.122.20489

Kurz kommentiert
Seit Jahrzehnten gibt es eine intensive Diskussion über die J-Kurve in der Blutdrucktherapie, vor allem bei Patienten mit Diabetes mellitus. Was ist das optimale Ziel bzw. wann ist ein Blutdruck ggf. zu niedrig? Die Hochdruckliga und auch die europäische Hochdruckgesellschaft empfehlen bei hypertonen Diabetikern ein systolisches Blutdruckziel von 130–139 mmHg. Ein Wert unter 120 mmHg systolisch soll nicht angestrebt werden, da hier die Risiken für die Patienten wieder signifikant ansteigen. An sich geht man davon aus, dass sogenannte Confounder (z.B. eine begleitende Herzinsuffizienz) diese J-Kurve erklären.

In der vorliegenden Arbeit wurde mittels Deep Learning aus elektronischen Gesundheitsdaten untersucht, ob das J-Kurven-Phänomen in einer Diabeteskohorte existiert. Es handelt sich nur um Beobachtungsdaten – mit dem Ergebnis, dass ein niedriges Blutdruckziel bei Diabetikern wohl nicht mit einem Anstieg des kardiovaskulären Risikos assoziiert ist.

Grundsätzlich erscheint es bei jeglicher Blutdruckintervention aber sehr wichtig, potenzielle Confounding-Ereignisse zu identifizieren. Möglicherweise gibt es Patienten, die von niedrigen Zielen profitieren, aber ebenso solche, die dadurch Schaden erleiden. Eines ist sicher: Das Blutdruckziel bei Patienten mit Diabetes sollte 130 mmHg sein und nicht 139 mmHg, auch wenn Korridore dies suggerieren.

Ihr Prof. Prof. h.c. Dr. Markus van der Giet
Vorstandsvorsitzender Deutsche Hochdruckliga e.V.
Charité – Universitätsmedizin Berlin