Ein niedriger diastolischer Ausgangswert scheint den kognitiven Abbau bei Hypertoniepatienten zu begünstigen. Das spricht aber nicht gegen strengere systolische Zielwerte. Im Gegenteil.
Eine Hypertonie gilt als Risikofaktor für kognitive Defizite. Das unterstreichen mehrere Metaanalysen, in denen die Blutdrucksenkung mit einem geringeren Risiko für Demenz oder leichte kognitive Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) einherging. Diskutiert wird jedoch, ob eine strenge Blutdruckkontrolle bei Patienten mit niedrigen diastolischen Werten der Kognition und dem zerebralen Blutfluss eher schadet. Schließlich fand sich in Beobachtungsstudien u.a. ein Zusammenhang zwischen geringem diastolischem Druck (DBP) und verstärktem kognitiven Abbau.
Ob die Sorge um die Kognition bei einer intensivierten Therapie berechtigt ist, prüften Dr. Chao Jiang, Department of Cardiology, Beijing Anzhen Hospital, Peking, und Kollegen in einer Post-hoc-Analyse der SPRINT-MIND-Studie. Darin war der systolische Blutdruck von über 9.000 Hypertoniepatienten entweder streng (Ziel < 120 mmHg) oder standardmäßig (Ziel < 140 mmHg) eingestellt worden. Ca. 8.500 Teilnehmer hatten sich zu Studienbeginn und mindestens ein Mal im Verlauf verschiedenen kognitiven Tests unterzogen. Bei 348 von ihnen wurde vor und vier Jahre nach Randomisierung zudem der zerebrale Blutfluss per MRT erfasst. Für ihre Berechnungen unterteilten die Forscher die diastolischen Werte der Basisuntersuchung in vier Quartile: ≤ 70 mmHg, 71–78 mmHg, 79–86 mmHg und ≥ 87 mmHg.
Zunächst bestätigten sich die Hinweise, dass ein niedriger DBP riskant für die Kognition ist: Im Follow-up lag die Inzidenz für Demenz und MCI in der Gruppe mit initialen Werten ≤ 70 mmHg über der in den drei anderen Quartilen. Allerdings hatten Patienten unter strenger Einstellung in jeder dieser Gruppen ein geringeres Risiko für Kognitionseinbußen als diejenigen mit höherem systolischem Ziel. Im Vergleich intensive vs. Standardtherapie betrug die Hazard Ratio für den Endpunkt wahrscheinliche Demenz/MCI im niedrigsten DBP-Quartil 0,91, im höchsten 0,70.
Darüber hinaus verschlechterten geringere diastolische Basiswerte den zerebralen Blutfluss unter strenger Blutdruckkontrolle nicht, wie die MRT-Aufnahmen zeigten. Vielmehr ließ sich sogar bei Teilnehmern mit einem initialem DBP ≤ 70 mmHg ein Trend hin zu einer günstigeren Veränderung des Blutflusses erkennen.
Eine intensive Blutdrucksenkung schadet der kognitiven Funktion offenbar nicht – und zwar unabhängig vom diastolischen Ausgangswert, schreiben die Autoren. Somit scheint auch bei niedrigem DBP ein systolisches Ziel < 120 mmHg sicher zu sein. Grundsätzlich muss man bei diesen Patienten aber besonders auf Nebenwirkungen der antihypertensiven Behandlung achten. Immerhin wiesen Teilnehmer in der untersten DBP-Quartile die höchsten Raten an Synkopen, Bradykardien und Elektrolytstörungen auf.
Quelle
Chao Jiang et al. Hypertension 2023; 80: 580–589. doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.122.20112
Kurz kommentiert
Seit Jahren stellt sich immer wieder die Frage, ob eine offensive Blutdrucksenkung bei Zeichen für kognitive Defizite eine noch stärkere Reduktion der zerebralen Perfusion nach sich zieht und damit entsprechende Defizite weiter fördert. In der Analyse der SPRINT-MIND-Studie konnte sehr gut gezeigt werden, dass eine intensive Blutdruckkontrolle keinen negativen Einfluss auf die Kognition hat. Sogar Patienten mit niedrigem diastolischen Ausgangsblutdruck bekamen kein stärkeres Problem.
Das spricht durchaus dafür, selbst bei Patienten mit kognitiven Defiziten ein systolisches Ziel von 130 mmHg anzustreben. Und auch ein niedriger Blutdruck von 120–130 mmHg ist kein Grund, antihypertensive Medikamente abzusetzen. Es muss aber immer überprüft werden, inwiefern durch die Therapie deutliche Nebenwirkungen auftreten. Es gilt immer das Prinzip, dass der Patient auch einen niedrigen systolischen Blutdruck wirklich toleriert.
Ihr Prof. Prof. h.c. Dr. Markus van der Giet
Vorstandsvorsitzender Deutsche Hochdruckliga e.V.
Charité – Universitätsmedizin Berlin