Bis zu 41 % der Patienten, bei denen in der Klinik mehrfach erhöhte Blutdruckwerte gemessen wurden, bleiben ohne definitive Hypertoniediagnose. Das zeigen Studien aus verschiedenen Gesundheitssystemen. Woran liegt das?
Eigentlich wurde in der US-amerikanischen BP-CHECK-Studie untersucht, welche Methode zur Hypertoniediagnostik sich in der Primärversorgung am besten eignet. In einer Post-hoc-Analyse widmete sich das Team um Dr. Yoshio Hall vom Kidney Research Institute der University of Washington in Seattle nun einem anderen Aspekt. Die Forscher überprüften, wie es nach einer auffälligen Langzeit-Blutdruckmessung für die Patienten ambulant weiterging.
An BP-CHECK nahmen 510 krankenversicherte Erwachsene ohne Hypertoniediagnose teil, die laut elektronischer Patientenakte und einer Eingangsuntersuchung einen erhöhten Blutdruck aufwiesen. Alle erhielten eine vom Studienzentrum initiierte 24-Stunden-Blutdruckmessung. Nach sechs Monaten erfolgte ein Follow-up-Termin. Die aktuelle Analyse umfasst 323 Teilnehmer, die allesamt erhöhte Tageswerte in der Langzeitmessung (mittlerer systolischer Druck 135 mmHg oder mittlerer diastolischer ≥ 85 mmHg) hatten. Ihr mittleres Alter lag bei 58,3 Jahren, 45 % waren weiblich.
Ungefähr jeder Zweite (48 %) hatte nach einem halben Jahr offiziell die Diagnose einer arteriellen Hypertonie erhalten – definiert durch eine entsprechende ICD-Codierung plus mindestens ein Rezept für Antihypertensiva. Von diesen 154 Patienten zeigten 88 einen gut kontrollierten Blutdruck. Bei denjenigen mit Diagnose bestand eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit dafür, eine Kontrolle der Werte zu erreichen als bei denen ohne dokumentierte Hypertonie (adjustiertes relatives Risiko 1,5). Außerdem war ihre Blutdruckreduktion gegenüber Studienbeginn signifikant größer. Insgesamt blieben 101 Personen – also fast jeder Dritte – mit einer nicht diagnostizierten und nicht kontrollierten Hypertonie ohne Medikation zurück.
Grundsätzlich bedarf es mehrerer Schritte, damit aus Testergebnissen eine erfolgreiche klinische Intervention folgt, schreiben die Autoren. Dabei müssen sowohl Ärzte als auch Patienten aktiv werden – angefangen beim Erkennen und Akzeptieren der Erkrankung bis hin zu Kontrollterminen und Dosisanpassungen. Den Forschern zufolge erwies sich in dieser Post-hoc-Analyse die Diagnose durch den betreuenden Arzt als A und O. Schließlich bekamen 75 % der Teilnehmer, bei denen eine arterielle Hypertonie festgestellt wurde, ein Antihypertensivum verordnet. Dr. Hall und Kollegen fordern neue Strategien, um die Ergebnisse von Blutdruckmessungen besser in den Praxisalltag und in die Behandlung zu integrieren.
Quelle: Hall YN et al. Circ Cardiovasc Qual Outcomes 2024; 17: e010119;
doi: 0.1161/CIRCOUTCOMES.123.010119
Kurz kommentiert
Im klinischen Alltag erleben wir leider immer wieder, dass Patienten mit einer neuen oder bestätigten Hochdruckdiagnose häufig nicht oder nur unzureichend behandelt werden. Dies kann im Verlauf von Jahren oder Jahrzehnten durchaus zu schweren kardiorenovaskulären Ereignissen führen. Nicht selten berichten Patienten mit den Ereignissen, dass ihr Blutdruck wohl immer schon „mal“ erhöht war, aber doch nie behandelt wurde.
In den USA hat man mögliche Gründe dafür in einer spannenden Studie in Erstbehandlungseinrichtungen überprüft. Patienten mit bestätigtem erhöhtem Blutdruck in der 24-h-Langzeitmessung kamen nach sechs Monaten zur Nachuntersuchung. 48 % von ihnen waren inzwischen effektiv neu eingestellt oder ohne Medikation im Normbereich. 31% hatten trotz der Bestätigung keine klare Diagnose und keine Therapie bekommen und 21 % hatten trotz Diagnose und/oder Therapie weiterhin erhöhte Werte.
Unter sozioökonomischer Betrachtung war die Studie für die USA nicht repräsentativ, da es sich ausschließlich um krankenversicherte Patienten mit Integration in Grundversorgungskliniken handelte. Ein unkomplizierter Zugang zu Gesundheitsleistungen war – wie in Deutschland – somit gewährleistet. Doch auch hierzulande brauchen wir dringend Konzepte, um Patienten mit diagnostiziertem Hochdruck nicht durch das Netz der Therapie fallen zu lassen. Bei 20–30 Millionen Hypertoniekranken wissen wir, dass 7–10 Millionen gar nicht behandelt werden. Das produziert mittelfristig für die Patienten Schäden mit gigantischen und kaum zu finanzierenden Gesundheitskosten.
Ihr Prof. Prof. h.c. Dr. Markus van der Giet
Vorstandsvorsitzender Deutsche Hochdruckliga e.V.
Charité – Universitätsmedizin Berlin