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Für Mediziner

Interventionelle Verfahren in der Bluthochdrucktherapie: Praxistauglich oder akademische Spielerei?

Die renale Denervierung hat große Erwartungen geweckt, die bislang noch nicht erfüllt wurden. Der Therapieeffekt scheint neueren Auswertungen nicht ausreichend zu sein, um bei Blutdruckpatienten auf die medikamentöse Behandlung verzichten zu können. Möglicherweise hatten bisherige Studien aber auch bloß keine ausreichende Stratifizierung von „Respondern“ und „Non-Respondern“ vorgenommen, womöglich können bei einer besseren Patientenselektion deutlichere Therapieergebnisse erzielt werden. Bis Studienergebnisse vorliegen, sollte man interventionelle Verfahren als praxistaugliche Therapieoption nicht ganz abschreiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es Ihnen wie mir? Regelmäßig kommen Patientinnen und Patienten in meine Hochdrucksprechstunde und haben eine Überweisung  mit der Frage: Therapieresistente arterielle Hypertonie, renale Denervierung? Diese Patienten nehmen bereits viele Antihypertensiva und haben weiterhin exzessiv hohe Blutdruckwerte. Was können wir diesen Patientin und Patienten sagen?

Vorgeschichte
Jeder Arzt, jede Ärztin, die Patienten mit arterieller Hypertonie betreut, war begeistert als die ersten Ergebnisse der renalen Denervierung zur interventionellen Hochdrucktherapie erschienen [1]. Symplicity HTN-1 und HTN-2 zeigten zum Teil dramatische Blutdrucksenkungen [2, 3]. Es herrschte Aufbruchs- und Goldgräberstimmung. Blutdruck mit einem einfachen Eingriff heilen. Zuweiser, Kliniken und Patienten waren begeistert. Alle wollten mitmachen. Aber auch wissenschaftliche Journale waren euphorisch und publizierten großzügig. Große Ernüchterung trat dann ein als die Daten der Symplicity HTN-3 Studie publiziert wurden. In dieser Studie wurden die Patienten einer renale Denervierung oder einem Scheineingriff unterzogen. Die Denervierung senkte den Blutdruck um 14 mmHg und der Scheineingriff um 12 mmHg, die Differenz war nicht statistisch signifikant [4]. Die Aufregung war groß, wie konnte das passieren? Es geht über den Umfang der vorliegenden Arbeit hinaus, in die Details der möglichen Erklärungen zu gehen. Es blieb bei zwei Interpretationen: Erstens, Design und Durchführungen von Symplicity HTN-3 waren schlecht und damit hatte das negative Ergebnis keine Aussagekraft. Alternative Erklärung: die renale Denervierung hatte keinen signifikanten Effekt auf den Blutdruck.

Für die renale Denervierung war es dann sehr erfreulich, dass in den Jahren 2017 und 2018 drei scheinkontrollierte Pilot-Studien eine signifikante Blutdrucksenkung zeigen konnten. Zum einen waren das zwei Studien, die mit einem fortentwickelten, spiralförmigen Multielektrodenkatheter Patienten mit oder ohne antihypertensive Medikation untersuchten (SPYRAL HTN-ON MED und SPYRAL HTN-OFF MED) [5, 6]. Zum anderen konnte auch mit einem anderen Therapieprinzip der renalen Denervierung der Blutdruck gesenkt werden. In der RADIANCE-HTN SOLO-Studie wurde Radiofrequenzablation mit Ultraschall eingesetzt [7]. Es ist sehr erfreulich, dass unterschiedliche Therapieprinzipien zum gleichen Ergebnis, nämlich signifikante Blutdrucksenkung, kommen. Alle drei Studien waren aber von der Patientenzahl klein und hatten damit nur Pilot-Charakter.

Aktuelle Studie
Ein wenig untergegangen in der COVID-19-Pandemie ist nun eine weitere wichtige, kürzlich im Lancet publizierte Arbeit mit dem Titel Efficacy of catheter-based renal denervation in the absence of antihypertensive medications (SPYRAL HTN-OFF MED Pivotal): a multicentre, randomised, sham-controlled trial [8].

Böhm und Kollegen berichten die Ergebnisse einer internationalen, einfachblinden scheinkontrollierten Studie, die an 44 Zentren durchgeführt wurde. Die Patienten hatten einen Praxisblutdruck über 150 mmHg und unter 180 mmHg und erhielten keine antihypertensive Medikation. Endpunkte waren 24-Stunden- und Praxisblutdruck nach drei Monaten. Für die Analyse wurden die Patienten aus der Pilotstudie und der Folgestudie zusammen ausgewertet. 331 Patienten wurden randomisiert und erhielten eine Denervierung (n=165) oder einen Scheineingriff (n=165). Die Blutdruckwerte sind in Abbildung 1 gezeigt. Die renale Denervierung senkte nach drei Monaten den systolischen Blutdruck in der 24-Stunden-Blutdruckmessung 3,9 mmHg stärker als der Scheineingriff. In der Praxisblutdruckmessung betrug die Differenz 6,5 mmHg. Es gab keine durch den Eingriff verursachten Komplikationen.

Abbildung 1: Änderung systolischer Blutdruck in der 24-Stunden-Messung und in der Praxismessung vom Start der Studie zur Messung nach 3 Monaten (modifiziert nach Lancet 395:1444-51, 2020). Leichte Abweichung der Zahlen durch Rundung in ANOVA Statistik.

Interpretation
Das biologische Konzept der renalen Denervation ist damit bewiesen. Damit zeigt das Verfahren den Effekt eines antihypertensiven Medikaments. Leider scheiden sich an der Studie wieder die Geister. Man kann sagen, das Verfahren ist sicher und senkt nach drei Monaten signifikant den Blutdruck bei hypertensiven Patienten, die keine Hochdruckmedikamente nehmen. Damit könnte die renale Denervierung zugelassen werden. Eine Voraussetzung, damit die Krankenkassen die Kosten für den Eingriff wieder übernehmen. Oder man sagt, 3,9 mmHg Blutdrucksenkung in der 24-Stunden-Blutdrucksenkung sind klinisch irrelevant und die Methode hat keine Zukunft, da es unwahrscheinlich ist, dass die Methode zu einer nennenswerten Reduktion der Tablettenzahl bei Hypertoniepatienten führt [9].

Bei welchem Patientenkollektiv drückt uns der Schuh? Am meisten bei therapieresistenten Patienten und Patientinnen, die unter multiplen Antihypertensiva weiterhin einen nicht kontrollierten Blutdruck haben. Für dieses Kollektiv nutzen uns die OFF MED-Daten vermutlich wenig. Nicht wenige Patienten beklagen aber, dass sie mehr oder weniger alle Antihypertensiva nicht vertragen. Hier liegen neben der arteriellen Hypertonie auch multiple Unverträglichkeiten vor, und/oder eine psychische Erkrankung. Für Patienten, die keine Medikamente nehmen können oder wollen, liegen mit der SPYRAL HTN-OFF Med-Daten vor. Bei diesen Patienten würden wir den Praxisblutdruck im Schnitt um 6,5 und den 24-Stunden-Blutdruck um 3,9 mmHg senken. Jeder Millimeter Blutdrucksenkung zählt und das individuelle Ansprechen auf das Verfahren ist durchaus unterschiedlich, was im Einzelfall auch zu größerer (oder geringeren) Blutdrucksenkung führen kann Auch wenn der Effekt auf den Blutdruck des einzelnen Patienten gering erscheint: eine derartige Senkung des Blutdrucks geht theoretisch mit einer Reduktion des Schlaganfallrisikos und der Gesamtmortalität einher, auch wenn der angestrebte Zielblutdruck nicht erreicht wird. Ist es aber klinisch relevant, wenn der systolische Druck in der 24-Stundenmessung von 151,4 (das war der Ausgangswert in der Studie) auf 147,4 mmHg sinkt? Wir sind dann immer noch 17,4 mmHg von den angestrebten kleiner 130 mmHg entfernt.

Die SPYRAL HTN-OFF MED ist eine wichtige Studie. Wir sind gespannt auf die nächsten Arbeiten. Wie stark kann der Blutdruck gesenkt werden, wenn die Denervierung zusätzlich zu einer bestehenden Medikation gegeben wird? SPYRAL HTN-ON MED läuft noch und die Daten werden nächstes Jahr erwartet. Gelingt es, Responder und Nonresponder schon vor dem Eingriff zu identifizieren? Wird es gelingen, bei der Denervierung messen zu können, wie erfolgreich die Intervention war? Hat renale Denervierung bei anderen Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz oder metabolischen Erkrankungen einen Stellenwert? Sicher ist, dass wir zur Behandlung von Patienten mit Hochdruck neben der medikamentösen Therapie alternative Behandlungsoptionen benötigen.

Literatur

[1] Krum H, Schlaich M, Whitbourn R, Sobotka PA, Sadowski J, Bartus K, Kapelak B, Walton A, Sievert H, Thambar S, Abraham WT, Esler M.Catheter-based renal sympathetic denervation for resistant hypertension: a multicentre safety and proof-of-principle cohort study. Lancet. 2009 Apr 11;373(9671):1275-81.

[2] Symplicity HTN-2 Investigators, Esler MD, Krum H, Sobotka PA, Schlaich MP, Schmieder RE, Böhm M. Renal sympathetic denervation in patients with treatment-resistant hypertension (The Symplicity HTN-2 Trial): a randomised controlled trial. Lancet. 2010 Dec 4;376(9756):1903-9.

[3] Krum H, Schlaich MP, Sobotka PA, Böhm M, Mahfoud F, Rocha-Singh K, Katholi R, Esler MD. Percutaneous renal denervation in patients with treatment-resistant hypertension: final 3-year report of the Symplicity HTN-1 study. Lancet. 2014 Feb 15;383(9917):622-9. Lancet. 2010 Dec 4;376(9756):1903-9.

[4] Bhatt DL, Kandzari DE, O'Neill WW, D'Agostino R, Flack JM, Katzen BT, Leon MB, Liu M, Mauri L, Negoita M, Cohen SA, Oparil S, Rocha-Singh K, Townsend RR, Bakris GL; SYMPLICITY HTN-3 Investigators. A controlled trial of renal denervation for resistant hypertension. N Engl J Med. 2014 Apr 10;370(15):1393-401.

[5] Kandzari DE, Böhm M, Mahfoud F, Townsend RR, Weber MA, Pocock S, Tsioufis K, Tousoulis D, Choi JW, East C, Brar S, Cohen SA, Fahy M, Pilcher G, Kario K; SPYRAL HTN-ON MED Trial Investigators. Effect of renal denervation on blood pressure in the presence of antihypertensive drugs: 6-month efficacy and safety results from the SPYRAL HTN-ON MED proof-of-concept randomised trial. Lancet. 2018 Jun 9;391(10137):2346-2355.

[6] Townsend RR, Mahfoud F, Kandzari DE, Kario K, Pocock S, Weber MA, Ewen S, Tsioufis K, Tousoulis D, Sharp ASP, Watkinson AF, Schmieder RE, Schmid A, Choi JW, East C, Walton A, Hopper I, Cohen DL, Wilensky R, Lee DP, Ma A, Devireddy CM, Lea JP, Lurz PC, Fengler K, Davies J, Chapman N, Cohen SA, DeBruin V, Fahy M, Jones DE, Rothman M, Böhm M; SPYRAL HTN-OFF MED trial investigators*.Catheter-based renal denervation in patients with uncontrolled hypertension in the absence of antihypertensive medications (SPYRAL HTN-OFF MED): a randomised, sham-controlled, proof-of-concept trial. Lancet. 2017 Nov 11;390(10108):2160-2170.

[7] Azizi M, Schmieder RE, Mahfoud F, Weber MA, Daemen J, Davies J, Basile J, Kirtane AJ, Wang Y, Lobo MD, Saxena M, Feyz L, Rader F, Lurz P, Sayer J, Sapoval M, Levy T, Sanghvi K, Abraham J, Sharp ASP, Fisher NDL, Bloch MJ, Reeve-Stoffer H, Coleman L, Mullin C, Mauri L; RADIANCE-HTN Investigators. Endovascular ultrasound renal denervation to treat hypertension (RADIANCE-HTN SOLO): a multicentre, international, single-blind, randomised, sham-controlled trial. Lancet. 2018 Jun 9;391(10137):2335-2345.

[8] Böhm M, Kario K, Kandzari DE, Mahfoud F, Weber MA, Schmieder RE, Tsioufis K, Pocock S, Konstantinidis D, Choi JW, East C, Lee DP, Ma A, Ewen S, Cohen DL, Wilensky R, Devireddy CM, Lea J, Schmid A, Weil J, Agdirlioglu T, Reedus D, Jefferson BK, Reyes D, D'Souza R, Sharp ASP, Sharif F, Fahy M, DeBruin V, Cohen SA, Brar S, Townsend RR; SPYRAL HTN-OFF MED Pivotal Investigators. Efficacy of catheter-based renal denervation in the absence of antihypertensive medications (SPYRAL HTN-OFF MED Pivotal): a multicentre, randomised, sham-controlled trial. Lancet. 2020 May 2;395(10234):1444-1451.

[9] Blankestijn PJ, Meijvis SC. Renal denervation: time to refine the focus of research. Lancet. 2020 May 2;395(10234):1404-1405.