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Bundesverdienstkreuz für Engagement gegen Bluthochdruck

Der Lübecker Arzt Lutz Henning setzt sich international gegen Bluthochdruck ein und erhielt dafür 2021 das Bundesverdienstkreuz. Hier erfahren Sie mehr über seine Projekte.

Bluthochdruck – Einsatz gegen eine globale Herausforderung

Bluthochdruck ist überall.

In Deutschland leben 20–30 Millionen Menschen mit Bluthochdruck. Nach einer Veröffentlichung des Robert Koch Institutes wird Bluthochdruck in Deutschlang erkannt 4 von 5 Menschen wissen von ihrer Krankheit, 88% der Betroffenen, die von ihrem Bluthochdruck wissen, werden behandelt und kontrolliert. Von denen erreichen ¾ durch die Therapie gute Blutdruckwerte (1).

Weltweit hatten im Jahr 2015 mehr als 1,1 Milliarde Menschen zu hohen Blutdruck. Bluthochdruck wird für 13% aller weltweiten Todesfälle verantwortlich gemacht. Bluthochdruck ist seit langem keine Wohlstandserkrankung mehr, sondern ein ernsthaftes Problem in Entwicklungs- und Schellenländern: während die durchschnittlichen Blutdruckwerte in den Industrienationen der westlichen Welt und dem Asien-Pazifik-Raum in den vergangenen Jahrzehnten gesunken sind, ist die Prävalenz von Bluthochdruck in ärmeren Ländern erheblich gestiegen, etwa in vielen Ländern Südasiens und Afrikas südlich der Sahara (2). Bluthochdruck ist der größte Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) (3), die weltweit die häufigste Todesursache sind. Mehr als drei Viertel der CVD-Todesfälle ereignen sich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. (4).

Insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist die Erkennung von Menschen mit hohem Blutdruck schwierig: Arztbesuche sind aufgrund fehlender Infrastruktur mit unzureichender medizinische Versorgung in ländlichen Regionen, Kosten für medizinische Leistungen sowie Entfernung zu Gesundheitseinrichtungen für viele Menschen nicht möglich, Blutdruck wird deshalb häufig nicht gemessen. Zusätzlich verläuft Bluthochdruck asymptomatisch, er macht also keine Beschwerden, die Menschen zu einem Arztbesuch veranlassen. Bluthochdruck wird deshalb häufig nicht erkannt und Folgeerkrankungen entstehen häufiger.

Um die Situation zu ändern und insbesondere auch bei unterversorgten Menschen ihren Bluthochdruck frühzeitig zu entdecken, setzen wir uns für Programme in Entwicklungs- und Schwellenländern ein, die Menschen in ihrem Alltag erreichen und dadurch einen niedrigschwelligen Zugang zu Blutdruckmessungen, Aufklärungsprogrammen, Therapie und Blutdruckkontrollen ermöglichen. Dieses Ziel konnten wir in den dargestellten Ländern erreichen.

In Bangladesch, einem der bevölkerungsreichsten Ländern der Welt, hat die Häufigkeit von Bluthochdruck deutlich zugenommen; waren 1974 nur 3% der Bevölkerung davon betroffen, sind es heute bis zu 40% (6). In Zusammenarbeit mit Prof. Muhammad Yunus, Gründer der Gramen Bank, ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis 2006 und Grameen Kalyan, der Gesundheitsorganisation der Grameen Bank, haben wir zunächst Ärzte geschult. Im weiteren Verlauf haben wir durch Ausbildung von Frauen ohne medizinische Ausbildung, sog. Community Health Assistants, ein dezentrales Screening-, Ausbildungs- und Präventionsprogramm in den unterversorgten ländlichen Regionen Bangladeschs aufgebaut. Innerhalb kürzester Zeit wurden bereits über 100.000 in ländlichen Regionen lebende Menschen untersucht. Bei > 25.000 Menschen wurde zu hoher Blutdruck festgestellt und die Betroffenen über nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Behandlung aufgeklärt und regelmäßig kontrolliert. Es wurde  eines der größten Präventionsprogramme weltweit.

Abb. 1: Schulungsprogramm zur standardisierten Blutdruckmessung und Vermittlung der nichtmedikamentösen Therapie in Bangladesch
Abb. 2: Vermittlung von Bewegung als Möglichkeit einer nichtmedikamentösen Blutdrucksenkung
Abb. 3: Rollenspiel zur Übung der Vermittlung von Schulungsinhalten

In Argentinien haben wir ein Projekt zur primären Prävention kardiovaskulärer Risikofaktoren bei Kindern initiiert. Nach argentinischen Veröffentlichungen ist bereits jedes dritte Kind in Argentinien im Alter von 9 Jahren zu dick mit einem hohen Risiko Bluthochdruck oder Diabetes mellitus (7). Eine Behandlung der durch den nicht entdeckten oder behandelten Bluthochdruck entstehenden Erkrankungen ist in Argentinien für arme Menschen nicht bezahlbar. In Zusammenarbeit mit der argentinischen gemeinnützigen Organisation “Chinchiribella Coro Expresión de Buenos Aires“ haben wir das musikalische Theaterstück “Das Herz des Herrn Noe” entworfen. Das Stück vermittelt Kindern spielerisch und unterhaltsam durch den Einsatz von Musik, Gesang, Tanz und Kunst, welche Möglichkeiten es gibt, Übergewicht zu vermeiden und ein gesundes Leben zu führen. “Das Herz des Herrn Noe” wurde im September 2010 im Theater „Centro Cultural Carlos Gardel“  in Buenos Aires uraufgeführt. Bereits über 2000 Kinder haben das Theaterstück erleben können. Die deutsche Botschaft in Buenos Aires hat die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen.

Abb. 4: Plakat zum Theaterstück „Das Herz des Herrn Noe“
Abb. 5: Szene des Theaterstückes
Abb. 6: Bilder der Kinder zum Inhalt des Theaterstückes: Ernährung

In der Mongolei begannen wir im Jahr 2011 in Zusammenarbeit mit Soroptimist International (SI), einer der weltweit größten Service-Organisationen berufstätiger Frauen mit gesellschaftspolitischem Engagement mit der unser schon erfolgreiches  Präventionsprogramms umzusezten. Wir konnten vorhandene Kontakte der Soroptimisten in der Mongolei nutzen und unser Projekt im Regional Diagnostik and Treatment Center in Orkhon Province, Erdenet durchführen.

Abb. 7: Schulung leitender Krankenschwestern im Regional Diagnostik and Treatment Center in Orkhon Province, Erdenet
Abb. 8: Blutdruckmessung bei einem buddhistischen Mönch

In Ruanda konnten wir in unser Screening- und Präventionsprogramm zu Bluthochdruck in ein Projekt zur Untersuchung der Lungengesundheit der Klimaschutzorganisation Atmosfair einbinden. Mit unserem Engagement konnten wir zeigen, dass es sinnvoll und effektiv ist, statt nur einzelne Krankheitsbilder die Komplexität von Gesundheit in den Fokus zu stellen.

Abb. 9: Schulungsprogramm in Zusammenarbeit mit der Umweltschutzorganisation Atmosfair

Obwohl chronische Krankheiten weltweit für fast drei Viertel aller Todesfälle verantwortlich sind und bei der 3. Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Prävention am 27.09.2018 in New York auf die große Bedeutung einer angemessenen Beachtung chronischer Erkrankungen hingewiesen wurde, findet eine angemessene Berücksichtigung chronischer Erkrankungen in der globalen Enzwicklungszusammenarbeit und Entwicklungsfinanzierung nur unzureichende statt. Es werden weniger als 2% der weltweiten Entwicklungshilfe zur Bekämpfung von chronischen Krankheiten investiert (5). Um die globale Bedeutung von Bluthochdruck und anderen chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Krebs als Entwicklungshindernis und Armutsrisiko angemessen zu berücksichtigen, ist ein Umdenken dringend erforderlich.

Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern, ihr Leben und Arbeit sowie ihre Perspektiven auf persönliche Entwicklung und Zukunft erhalten aktuell verstärkte Aufmerksamkeit. Denn  am 11. Juni 2021 wurde vom Deutschen Bundestag das Lieferkettengesetz beschlossen. Fairer Handel ermöglicht den Menschen in Entwicklungsländern ein besseres Einkommen, die Chance auf Bildung und persönliche Entwicklung. Aber Krankheiten gefährden diesen nachhaltigen Ansatz. Mehr als 100 Millionen Menschen fallen jährlich unter die Armutsgrenze, weil sie nicht krankenversichert sind und  ihre medizinische Behandlung aus eigenen Mitteln direkt bezahlen müssen (8). Angemessene Arbeitsbedingungen und Löhne sind wichtig und ein Gesetz zur Einhaltung von Standards in der globalen Produktion notwendig. Neue Standards sollten aber aus den geschilderten Gründen die Bedeutung von Gesundheit berücksichtigen und das Potential von Lieferketten umsetzen: Baumwoll-, Kakao- oder Kaffeeanbau findet in ländlichen Regionen, häufig Gebiete mit schlechter medizinischer Infrastruktur, statt.

Eine Inklusion von Präventionsmaßnahmen in die bereits bestehenden Wertschöpfungsketten ermöglicht einer Vielzahl von Arbeitern einen niedrigschwelligen Zugang zu medizinischer Versorgung und stärkt die Gesundheitssysteme an den Produktionsstandorten der Unternehmen. Nachhaltige Wertschöpfungskettenketten ermöglichen einen effektiven und kostengünstigen Weg, Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu erreichen und besitzen daher das Potential, diesen Menschen Zugang zu medizinischen Versorgungssystemen zu ermöglichen.

Ermutigt durch die „Schirmherrschaft der Deutschen Hochdruckliga e.V. DHL (medizinische Fachgesellschaft für Hypertonie und Prävention) über die Projekte zur Gesundheitsversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern des VHB, sind wir der Hoffnung, dass Bluthochdruck und weitere chronische Erkrankungen angemessen in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit wahrgenommen und finanziert wird. Wir setzen uns dafür ein, dass Wirtschaft und Politik sich verstärkt für Wertschöpfungsketten engagieren, die neben ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit medizinische Präventionsprogramme einbinden, Gesundheit erhalten, um Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern eine nachhaltige Entwicklungsperspektiven zu eröffnen und neue Maßstäbe für eine gerechte Globalisierung setzen.

Abb. 10: Übergabe der Urkunde der Schirmherrschaft der Deutschen Hochdruckliga durch Frau Prof. Dr. Kusche-Vihrog (Mitglied des Vorstandes der Deutschen Hochdruckliga) an den Vorstand des VHB (Prof. Dr. PM Rob, links; L. Hennings)
  • (1) H Neuhauser, R Kuhnert, S Born. 12-Monats-Prävalenz von Bluthochdruck in Deutschland. Journal of Health Monitoring · 2017 2(1) DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-007. Robert Koch-Institut, Berlin)
  • (2) NCD Risk Factor Collaboration, Lancet
  • (3) S Mendis, P Puska, B Norrving, World Health Organization. Global atlas on cardiovascular disease prevention and control. Geneva: WHO; 2011.
  • (4) WHO, Carciovascular disease, 11.06.2021
  • (5) LN Allen. Financing national non-communicabe disease responses, Global Health Action, 2017, 10:1, 1326687, DOI: 10.1080/16549716.2017.1326687
  • (6) Md N Khan, JC Oldroyd, EK Chowdhury, MB Hossain, J Rana, RM Islam. Prevalence, awareness, treatment, and control of hypertension in Bangladesh: Findings from National Demographic and Health Survey, 2017-18. medRxiv. doi: doi.org/10.1101/2021.04.09.21255237
  • (7) V. Hirschler, K.Buzzano, A.Erviti, N. Ismael,S. Silva, R. Dalamon: Overweight and lifestyle behaviors of low socioeconomic elementary school children in Buenos Aires. BMC Pediatrics, 2009, 9:17
  • (8) Globale Gesundheitspolitik gestalten-gemeinsam handeln-Verantwortung wahrnehmen. Konzept der Bundesregierung. S. 19.

Autoren

  • L. Hennings. VHB-Verband zur Hilfe für Behinderte e.V., Nierenzentrum am Sana Klinikum Lübeck
  • J.F. Siani, VHB-Verband zur Hilfe für Behinderte e.V.
  • Y. Vollmer, VHB-Verband zur Hilfe für Behinderte e.V., Verbraucherzentrale Hamburg
  • P. Kujath, VHB-Verband zur Hilfe für Behinderte e.V.
  • P.M. Rob, VHB-Verband zur Hilfe für Behinderte e.V., Kommissionspräsident in der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie im Bereich Palliative Medizin